Kontinent der Gegensätze oder Gegensatz der Kontinente

Rede zur Eröffnung der neuen Asien-Dauerausstellung im Überseemuseum am 17. Februar 2006

Guten Abend Frau Dr. Ahrndt, guten Abend Herr Bürgermeister Böhrnsen und auch guten Abend allen anderen Damen und Herren, aus aktuellem Anlass habe ich das Motto der Dauerausstellung Asien für meine Ausführungen geändert. Ich möchte nicht über den Kontinent der Gegensätze sondern über den Gegensatz der Kontinente sprechen. Denn um den gewaltigen Anspruch an die Ausstellung noch zu vergrößern, scheint es mir wichtig, auf den Gegensatz der Kontinente – also in diesem Fall auf den Gegensatz zwischen Europa und Asien einzugehen. Dabei möchte ich zeigen, dass die erbitterten Auseinandersetzungen um die Mohammad-Karikaturen auch Ausdruck der unterschiedlichen Kulturwelten sind, die durch die Globalisierung nur scheinbar überbrückt wurden.Auf diesen neu gestalteten 1900 Quadratmetern muss das Museums-Team Zugänge zu anderen Kulturen eröffnen – eine Aufgabe, an der Journalisten, Politikern und Pädagogen bis heute meist gescheitert sind. Denn eine Ausstellung bietet die Chance, anderen Kulturen das Fremde zu nehmen – Fremdes, in dem nur allzu leicht und leider eben auch allzu oft Feindliches gesehen wird. Wer Fremdes erschließt und damit verhindert, dass es als Feindbild dienen kann, leistet einen gewaltigen Beitrag zur Völkerverständigung.

Diese Aufgabe ist heute dringlicher denn je. Zwar ist das Selbstgefühl des aufgeklärt Seins im Abendland so entwickelt wie nirgendwo anders auf der Welt. Dennoch wäre es Selbstbetrug, zu meinen, dies reiche aus, um die Probleme der Welt erkennen und sogar lösen zu können. Wir merken gar nicht, dass sich die Welt wesentlich schneller entwickelt, als die Sicht, die wir von ihr haben.

Mit Spott wäre jeder bedacht worden, der vor fünf Jahren orakelt hätte, Karikaturen könnten einen interkontinentalen Krieg auslösen. Musste doch im Juni 1914 in Sarajewo zumindest noch ein Erzherzog ermordet werden, um den ersten Weltkrieg zu entfachen. Karikaturen werden hoffentlich keinen Krieg auslösen, doch sie heizen einen Kulturkampf an, der interkontinentale Gräben reißt, die immer schwerer zu überbrücken sind.

Deshalb sind Ausstellungen, wie die hier im Überseemuseum so wichtig.

Denn wie notwendig es ist, andere Kulturen zu verstehen, zeigen die Auseinandersetzungen um die Veröffentlichung der Mohammad-Karikaturen. Dazu ein Beispiel aus einer Talkshow: Dort erklärte der Chefredakteur einer Wochenzeitung, die als erste im deutschsprachigen Raum die Mohammad-Karikaturen nachgedruckt hat, mit ihnen werde das Gefühl von Moslems gar nicht verletzt. »Irrtum« – dieses Wort kann man gar nicht laut genug herausschreien. Denn natürlich fühlen sich Menschen verletzt. In anderen Kulturen bestehen andere Sensibilitäten. Der Irrglaube besteht darin, dass wir meinen, alle Menschen auf unserem Planeten denken oder fühlen das gleiche, nur weil sie überall auf unserem Planeten vor gleichen PC´s sitzen und mit der gleichen Software arbeiten.

Die Unterschiedlichkeit der Kulturen ist durch die wirtschaftliche Globalisierung nicht beseitigt oder auch nur weitgehend abgeschwächt worden, nein, die Globalisierung hat Widerstände hervorgerufen, die an althergebrachten Lebensformen und deren Wertemustern festhalten, sie verteidigen und sie als Waffe zur Abwehr des Andersartigen nutzen. Toleranz heißt auch, diese anderen Lebensformen und Wertemuster zu akzeptieren und in ihnen Kulturen und möglicherweise sogar Zivilisationen zu erkennen.

Ganz schön viel verlangt von einem Museum oder gar einer Ausstellung, werden sie sagen. Wohl war – doch die Ansprüche können heute gar nicht groß genug sein. Denn, wie gesagt, Politiker und Journalisten sind meist gescheitert.

Es sollte zu denken geben, dass die Vereinten Nationen das Jahr 2001 zum Jahr des »Dialogs der Kulturen« erklärt haben. Und es sollte noch mehr zu denken geben, dass ein iranischer Präsident, nämlich Mohammad Khatami, im Jahre 2000 diesen Dialog anmahnte und bei den Vereinten Nationen beantragte, ein Jahr unter das Motto »Dialog der Kulturen« zu stellen. Fünf Jahre später setzt sein Nachfolger schon nicht mehr auf Dialog sondern auf Konfrontation, um seine politischen Ziele durchzusetzen. Aus späterer – der so genannten historischen Sicht, wird es dann möglicherweise heißen, dass die Akteure wichtige Chancen nicht genutzt haben.

Hätten die Akteure doch bloß das Überseemuseum besucht, mag mancher an dieser Stelle denken. Sicherlich müssen Ansprüche an Museen gewaltig sein. Denn wie sie prägen können, weiß ich aus eigener Erfahrung. Es ist der so genannte Negerkral, der mich seit meiner Kindheit verfolgt und mein falsches Afrikabild gefestigt hat. Irgendwo da vorne, nur wenige Meter von hier, war er aufgebaut. In meiner Erinnerung existiert das Bild nur noch schemenhaft – doch es ist der Eindruck, der haften blieb und von dem ich mich nur schwer befreien konnte. Für mich hat sich der »Negerkral« – mit dem Kochtopf in der Mitte, um den Schwarze hocken mit den Bambushütten im Umfeld – hat sich dieser »Negerkral« als Bild eingebrannt.

Da habe ich nicht verstanden, dass afrikanische Kulturen, in denen die Eisenverarbeitung vor Hunderten von Jahren bereits weit vorgeschritten war – weiter als zu dem entsprechenden Zeitpunkt in vielen Teilen Europas, ich habe nicht verstanden, dass diese Kulturen durch skrupellose Sklavenhändler zerstört worden waren und dass die nicht gefangenen aus Angst vor den Überfällen im Urwald Schutz gesucht haben.

Ich nahm eine vermeintliche Idylle war – begriff sie als Ergebnis von Unterentwicklung und ignorierte, dass es sich auch um das Ergebnis der Barbarei von Europäern handeln könne. Natürlich ist es falsch, die damalige Ausstellung für meine falsche Sicht der Dinge verantwortlich zu machen. Doch das Museum hat mir damals nicht geholfen, die falschen Ideen zu überwinden, denn als Zehnjähriger bin ich bereits mit Vorurteilen in die Ausstellung gekommen, aber ich war auch bereit aufzusaugen und mein Weltbild zu korrigieren.

Wer meint, Museen könnten heute nicht mehr so stark prägen, irrt. Denn trotz allen Fernsehkonsums und aller Fernreisen kann einer Ausstellung bei der Schaffung von Weltbildern eine gewaltige Bedeutung zukommen. Denn bei Fernsehbildern ist es nicht nur Kindern nahezu unmöglich, zwischen Realität und Fiktionen zu trennen. Und auf Fernreisen, so man denn überhaupt solche unternimmt, begeben sie sich nur all zu oft in eine Welt der für Touristen inszenierten Folklore. Schauen sie doch mal, was in Flughäfen als Souvenirs der jeweiligen Städte verkauft wird: Kitsch der besonderen Art. Das sind Exponate, die in den Wohnstuben der Bewohner der besuchten Stadt fehlen – allenfalls stehen sie auf den Fensterbänken der Kneipen im Umfeld von Touristenattraktionen.

Was ist das Verführerische an Kitsch und was haben solche Gegenstände mit Exponaten in Museen gemein? Die Dreidimensionalität – etwas, das Bücher und Fernsehen nicht bieten können. Das Handfeste – das Begreifbare – ist so beeindruckend, erst recht, weil es gar nicht angefasst werden darf.

Das Gefährliche bei Museen – heißen sie nun Völkerkundemuseum oder sogar Überseemuseum – besteht darin, dass sie auf Exponate angewiesen sind, die im Fundus stehen und die eher zufällig in ihren Besitz kamen. Ich möchte mal vorsichtig sagen, die Museen konnten und können auf ein Sammelsurium von Mitgebrachtem zurückgreifen – nur zu oft sind das Gegenstände, die Sammlern oder Einkäufern wegen ihrer vermeintlich exotischen Ausstrahlung aufgefallen waren.

Ich will nicht den Ruf hanseatischer Kaufleute schmälern, sie verstanden ihr Geschäft, aber ein gewisses Weltbild war ihnen schon zu eigen und in Museen sahen sie Institutionen, dieses ihren Interessen entsprechende Weltbild zu popularisieren.

Vergangenheitsbewältigung darf sich eben nicht nur auf die Aufarbeitung des Zeitraumes von 1933 bis 1945 beschränken. Es geht genauso um die Zeitalter des Kolonialismus und des Neokolonialismus. Und erst wenn wir unser Erkenntnisinteresse auch nicht nur auf diese Epochen beschränken, sondern mit Erkanntem versuchen, das Zeitalter der Globalisierung zu begreifen, haben wir meiner Meinung nach etwas gelernt.

Jawohl: es kann nicht sein, zu glauben, man habe es geschafft, wenn die Welt nicht mehr am deutschen sondern am europäischen Wesen genesen soll. Oder wie ist zu erklären, dass es keinen Aufschrei der Empörung gibt, wenn Soldaten westlicher Staaten in irakischen Dörfern die Türen von Häusern eintreten. In Europa mag man denken »selber schuld«. Haben die Bewohner doch nicht von sich aus geöffnet, als draußen geschrieen wurde. Das mag für den europäischen Kulturraum stimmen. Aber eben nicht für eine islamische Beduinengesellschaft. Dort öffnet ´Frau´ im Einzelfall fremden Männern nur die Tür um den Preis des Ehrverlustes – und deswegen muss die Tür geschlossen bleiben. Gewalttäter – und die sieht man in den fremden Eindringlingen – ziehen die Rache der Familie, der Sippe oder des Stammes auf sich. Natürlich sind die Probleme im Irak extrem vielschichtig, doch das Beispiel der eingetretenen Tür darf in seiner Bedeutung auch nicht unterschätzt werden.

Sicherlich reicht der Gang durch ein Museum nicht aus, um einen Soldaten auf einen Einsatz in einem anderen Kulturraum vorzubereiten. Aber er sollte Besuchern helfen, ein Bewusstsein zu entwickeln, wie vielschichtig Probleme sind. Dass zum Beispiel der Einsatz von Soldaten in anderen Teilen der Welt nicht auf die Frage ihrer Bewaffnung und der Schnelligkeit ihrer Verlegung reduziert werden darf.

Internationale Konfliktlösungen setzen Verständnis für andere Kulturen und Akzeptanz anderer Wertesysteme voraus. Nicht Arroganz sondern Toleranz ist gefragt. Und zwar nicht nur gegenüber Andersartigem im eigenen Land sondern auch oder besser sogar besonders gegenüber Andersartigem im Ausland.

Leider ist es so, dass Politiker nur all zu oft erst nach Beendigung ihrer Amtszeit als Friedensstifter auftreten. Dabei denke ich zuallererst an Jimmy Carter, der als internationaler Wahlbeobachter aber auch als anerkannter Vermittler zwischen Konfliktparteien einen exzellenten Ruf genießt. Amtsnachfolger Bill Clinton wandert neuerdings auf ähnlichen Pfaden. Beim Weltwirtschaftsforum in Davos bedauerte der ehemalige US-Präsident die fehlende Fähigkeit der USA, auf andersartiges eingehen zu können. Als Beispiel führte er mit einem selbstkritischen Unterton an, keinen Dialog mit Iranern gesucht zu haben, als sich der Iran dafür offen zeigte. In der Tat: Die von Staatspräsident Khatemi angeregte Idee des Dialogs der Kulturen wurde nicht genutzt, um der Islamische Republik Iran zu helfen, ihre Isolation zu überwinden. Dabei hätte ein Ausgleich zwischen den USA und der Islamischen Republik Iran vor zehn Jahren der internationalen Gemeinschaft den jetzt eskalierenden Konflikt erspart, dessen Gefahr gar nicht ernst genug genommen werden kann und dessen langfristige Auswirkungen leider sehr stark unterschätzt werden. Politiker debattieren über die Möglichkeiten, dass iranische Atomprogramm militärisch zu stoppen. Dass mit solch einer Politik eine globale Terrorwelle ausgelöst werden kann, wird nicht mitreflektiert.

Solch ein Ausblick zeigt, dass es zum Dialog der Kulturen gar keine Alternative gibt. Doch ein Dialog kann nur geführt werden, wenn die andere Seite auch in ihrer Eigenart begriffen und als Partner akzeptiert wird. Gegenüber dem Orient haben wir einen großen Nachholbedarf. Der Dialog kann dazu beitragen, zu verhindern, dass die Auseinandersetzungen um Karikaturen in einen Kampf der Kulturen, also einen Kampf zwischen Abend- und Morgenland mündet und in einem Krieg der Kulturen endet.

Natürlich ist diese Forderung nicht neu. Sie mit Nachdruck vorzubringen und eine entsprechende Ernsthaftigkeit bei einem solchen Dialog anzumahnen, ist wichtig. Dieses Anliegen muss gezielt an Politiker gerichtet sein und kann gar nicht oft genug wiederholt werden.

Doch warum haben die Dialoge der Vergangenheit so wenige Früchte getragen. Einer der Gründe könnte darin bestehen, dass wir als Europäer lernen müssen, unsere Ansprüche zurückzuschrauben. Dabei denke ich nicht nur an eine Reduktion der Konsumansprüche. Sondern wir stehen in der Gefahr einer kulturellen Arroganz. Die Zivilisation für sich in Anspruch zu nehmen, ist Kernpunkt dieser Arroganz. Asiatischen Kulturräumen billigt man zu, Stätten der Wiege oder früher Phasen der Zivilisation zu sein. Doch spätestens seit der Aufklärung wird sie in Europa angesiedelt. So spricht man bezeichnenderweise vom Dialog der Kulturen und gerade nicht vom Dialog der Zivilisationen.

Der Kern des Eurozentrismus besteht darin, die Zivilisation zu beanspruchen. Doch diese Sicht der Dinge ist antiquiert. Sie entspringt kulturellen Erfolgen, die vor dem Hintergrund des Kolonialismus und des Imperialismus erzielt wurden. Dieses Weltverständnis wurde in einer historischen Epoche entwickelt, in der Europa tatsächlich das Zentrum der Weltentwicklung bildete. Doch die aktuellen weltweiten Kräfteverschiebungen sind kolossal, Europa ist nicht mehr der, sondern nur noch ein Kontinent, wenn es um die künftige Entwicklung einer globalen Zivilisation angeht. Das ist der Grund, weshalb in meinen Augen auch ein Stück Zurückhaltung im Karikaturenstreit angebracht sein sollte.

Aus chinesischer Perspektive ist Europa nur ein Fleck auf dem Globus. Auch wirtschaftlich nur noch relative bedeutsam. Als Lehrmeister werden Europäer langfristig nicht mehr akzeptiert werden.

In der Ausstellung kann man ein Gefühl für die Relativität der europäischen Kultur entwickeln. Und die Eindrücke können auch helfen, ein arrogantes kulturelles Selbstverständnis abzubauen.

Und solch eine Änderung des Bewusstseins erfordert Muße, Muße, wie man sie hier, in einem Museum finden kann.

So kann ich Sie nur ermuntern, die sechs Bereiche der neuen Ausstellung auf sich wirken zu lassen. Und die Machern kann ich nur sagen: Werden Sie nicht müde, die Ausstellung immer aufs Neue den wachsenden Herausforderungen anzupassen.

Also viel Spaß beim Besuch oder bei der anspruchsvollen Arbeit.

Vielen Dank

Mehr Informationen unter www.uebersee-museum.de

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