Iran – Gefahren und Hoffnungen

Vortrag im Schweizerischen Institut für Auslandforschung

Guten Abend meine Damen und Herren, vielen Dank für die Einladung. Ich freue mich sehr, hier sprechen zu dürfen. Mit dem mir gestellten Thema »Iran – Gefahren und Hoffnungen« trifft Herr Meyer ins Schwarze.Zum iranischen Neujahrsfest – also am vergangenen Freitag (20. März 2009) – hat sich US-Präsident Barak Obama in einer Botschaft an die iranischen Führer zu einem neuen diplomatischen Prozess bekannt und Drohungen abgelehnt: »Wir streben stattdessen nach einem Engagement, das ehrlich ist und auf gegenseitigem Respekt gründet.«

Dieser Versuch zu einem Ausgleich mit Iran ist überfällig, denn der Integration der Islamischen Republik in die Weltwirtschaft und die internationale Politik kommt eine zentrale Rolle zu, wenn es darum geht, die von Krieg, Terror und Fehlentwicklungen geprägte Lage im Mittleren Osten zu stabilisieren. Ohne eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Iran und den USA wird die Staatsführung in Teheran nicht bereit sein, einen Beitrag zur Lösung der unterschiedlichen Konflikte in der Region zu leisten.

So möchte ich zuerst auf die Probleme zwischen Iran und den USA und die Schwierigkeiten ihrer Lösung eingehen. Dann werde ich auf die Auswirkungen dieses Konfliktes – ich würde ihn zeithistorischen Konflikt nennen – eingehen: Es sind dies die dramatische Verkrustung des politischen Systems der Islamischen Republik und die verzerrte Integration der iranischen Wirtschaft in den Weltmarkt. Sollte es langfristig keine Lösung der Spannungen zwischen Iran und dem Westen geben, drohen dem Mittleren Osten auf Dauer Chaos und Instabilität. Ans Ende der Ausführungen möchte ich dann einige Gedanken zu einer konstruktiven Neutralitätspolitik stellen, die insbesondere bei den Konflikten mit Iran genutzt werden sollte.

Die Lage bleibt so schwierig, weil Obama-Vorgänger George Bush Chancen für eine Kooperation mit Iran nicht genutzt sondern stattdessen die Islamische Republik zum Bestandteil seiner »Achse des Bösen« gemacht und gegenüber dem Land eine Politik des Regime-Change favorisiert hat. Mehrfach drohten Mitglieder der Bush-Regierung mit dem Einsatz militärischer Mittel gegenüber der Islamischen Republik.

Vor diesem Hintergrund deuten Obamas Worte auf einen Wechsel in der Iran-Politik der USA. Aber es handelt sich nur um ein sehr vorsichtiges Signal, denn Obama hat neun Tage vor seiner ›Norouz-Botschaft‹ ein 1995 von US-Präsident Bill Clinton gegen den Iran verhängtes Sanktions-Zusatzpaket um ein weiteres Jahr verlängert. Zur Begründung schrieb Obama: (Zitat) »Aktionen und Politik der Regierung Irans bedeuten weiter eine ungewöhnliche und außerordentliche Bedrohung für die nationale Sicherheit, die Außenpolitik und die Wirtschaft der Vereinigten Staaten.« (Zitatende) Der Präsident nennt aber keine Beispiele für seine pauschalen Beschuldigungen.

Damit kommt von der US-Regierung einerseits ein völlig neues Signal, gleichzeitig werden jedoch bedeutende Teile der bisherigen Politik fortgesetzt. Die Islamische Republik soll auch durch Wirtschaftssanktionen zu einer Zusammenarbeit mit den USA gezwungen werden. Diese Taktik dürfte auch weiterhin nicht funktionieren. Dabei treffen die verlängerten Sanktionen den Iran wegen des Einbruchs der Ölpreise besonders stark, denn Präsident Obama hat mit seinem Erlass US-Firmen und ihren im Ausland angesiedelten Tochterunternehmen für ein weiteres Jahr verboten, in iranische Energiebereiche zu investieren. Diese Beschränkungen gehen weit über die vom Weltsicherheitsrat wegen der iranischen Uran-Anreicherung verhängten Sanktionen hinaus.

Im Energiesektor bleibt Iran so anfällig, da allein für die Sanierung der Ölfelder ein Investitionsstau von gut 150 Milliarden US-Dollar besteht. Wegen des steigenden Inlandbedarfs kann Iran die Einnahmeverluste nicht durch eine Erhöhung der Exporte kompensieren. So steigt seit dem Herbst 2008 die Staatsverschuldung, der Regierung Ahmadinejad fehlen bereits Mittel, die laufenden Subventionsprogramme zu finanzieren.

Faktisch befindet sich die Islamische Republik in einem US-Würgegriff, den Obama nicht abschwächt, sondern dessen Lockerung er nur indirekt in Aussicht stellt.

Der US-Präsident fordert von Iran eine direkte Kooperation bei der Lösung der Probleme im Mittleren Osten, also zuallererst in Afghanistan und Irak sowie vor allem Unterstützung für die Lösung des palästinensisch-israelischen Konfliktes. Genau hierzu ist die Führung in Teheran nicht bereit, da sie auf das Instrument der Einmischung in die Konflikte der Region als Druckmittel gegen die USA nicht verzichten will. Der mächtigste Politiker des Landes, Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei, kann die Richtlinien der iranischen Politik bestimmen und er macht auch zunehmend Gebrauch von dieser Möglichkeit. Khamenei wird solange eine grundsätzliche Öffnung gegenüber den USA blockieren, wie die Regierung in Washington die islamische Herrschaft nicht anerkannt und die Sanktionen gegen Iran fortsetzt. Eine schnelle Annäherung zwischen Iran und den USA bleibt damit unwahrscheinlich.

Beidseitige politische Traumata verhindern die notwendige politische Flexibilität. Für die Regierung in Washington bilden der Sturz des prowestlichen Schahs mit der anschließenden Gründung der Islamischen Republik und die Besetzung der US-Botschaft in Teheran 1979 den Ausgangspunkt für eine Politik der politischen und wirtschaftlichen Isolation sowie der militärischen Bedrohung Irans. Für die Regierung in Teheran steht dagegen der von der CIA in der Operation »Ajax« mit organisierte Sturz des Ministerpräsidenten Mohammad Mossadegh im Jahre 1953 als Beweis einer bis heute gesehenen permanenten Drohung der USA, sich in die inneren Angelegenheiten des Landes einzumischen. Der wieder eingesetzte Kaiser Reza Pahlewi machte in den 50er Jahren die unter Mossadegh eingeleitete Verstaatlichung der Ölindustrie rückgängig.

Zaghafte Versuche das Verhältnis zwischen Iran und den USA zu entkrampfen, scheiterten. Immer wieder keimten Hoffnungen auf. Die von der Clinton-Administration veröffentlichten Dokumente über die CIA-Beteiligung am Putsch 1953 wurden in Teheran als Zeichen für ein Umdenken begriffen. Die Bereitschaft Irans, sich den USA anzunähern, entwickelte sich nach den Anschlägen des 11. September besonders deutlich. Auch im Iran reagieren Menschen mit Abscheu, in Teheran demonstrierten Hunderte bei Kerzenlicht ihre Solidarität mit den Opfern. Aber – noch wichtiger – Irans Präsident Mohammad Khatami unterstützte die Forderung seines US-Kollegen Bush nach einem ›Krieg gegen den Terror‹. Doch dieser sollte den Vorstellungen des iranischen Politikers zufolge im Rahmen der Vereinten Nationen geführt werden und nicht allein Sache der USA bleiben.

Während des Afghanistankrieges 2001 kam es sogar zu einer indirekten militärischen Zusammenarbeit zwischen Iran und den USA. Revolutionswächter organisierten in Westafghanistan einen Vormarsch von Aufständischen gegen die Taliban. Die unter iranischem Einfluss stehende und auch teilweise ausgerüstete Nordallianz trug die Hauptlast des Bodenkrieges. Wie weit die Kooperation zwischen den USA und Iran ging, bleibt unklar, da beide Seiten bisher dazu schweigen.

Doch die USA nutzten die Kooperation mit Iran nur militärtaktisch, nicht jedoch für eine Neuorientierung ihrer Politik gegenüber der Islamischen Republik. Für den 1997 zum Präsidenten gewählten Reformpolitiker Khatami brachte die starre Politik der USA einen Rückschlag. Er versuchte die Islamische Republik zu liberalisieren und sie aus der außenpolitischen Isolation zu führen. Khatami gab sein Interesse an einem Ausgleich mit den USA wiederholt zu erkennen.

Doch dessen innenpolitische Gegner sahen im US-Krieg gegen Afghanistan nur einen ersten Schritt, auch Iran militärisch anzugreifen. Bis heute sind Reformpolitiker in Teheran darüber verärgert, dass die US-Administration die informellen Kontakte zwischen beiden Regierungen nicht in politische Verhandlungen, sondern in einen Krieg der Worte überführt hat. Diese Wendung vollzog US-Präsident Bush in seiner Rede zur Lage der Nation im Januar 2002, in der er Irak, Iran und Nordkorea als ›Achse des Bösen‹ bezeichnete und vieldeutig erklärte, die USA würden tun, was zur Sicherung der nationalen Interessen notwendig sei. Der damalige iranische Außenminister Kamal Kharrazi warf dem US-Präsidenten vor, den Weltfrieden zu gefährden, statt zehn Wochen nach dem militärischen Sturz der Taliban die »goldene Gelegenheit für die internationale Gemeinschaft« zu nutzen, »gegen Gewalt und Terrorismus zu mobilisieren.«

Die Konsequenzen für die iranische Politik waren weitreichend. Systematisch wurden die iranischen Streitkräfte auf einen US-Angriff vorbereitet. In einem Sofortprogramm stellte die militärische Führung neue Freiwilligenverbände auf und gruppierte die Truppen des Landes vollständig um. Dabei waren die Jahre nach 1988, dem Ende des Krieges mit Irak, durch eine Politik der Konversion geprägt. Statt den Rüstungssektor weiter zu verstärken, wurde die Infrastruktur des Landes neu aufgebaut.

Für die konservative Staatsführung des Iran und die konservativen Zirkel in den Sicherheitskräften boten die US-Drohungen einen willkommenen Vorwand, die Reformkräfte auszuschalten. Diese hatten bereits wegen fehlender Erfolge in der Sozialpolitik und übergroßer Zaghaftigkeit bei den Maßnahmen zur Liberalisierung der politischen Verhältnisse einen großen Teil ihrer Unterstützung durch die Mehrheit der Iraner eingebüßt. Der konservative Wächterrat – eine einem Verfassungsgericht ähnelnde Institution – nutzte die schwindende Popularität der Reformer, die große Mehrheit ihrer Kandidaten von Wahlen auszuschließen. Im Januar 2004 gewannen die Konservativen fast 80 Prozent der 290 Parlamentssitze und konnten damit die Politik des Reformpräsidenten Khatami zum Ende seiner Amtszeit im Parlament vollständig blockieren.

Bis zum Sommer 2005 gelang es den Antireformkräften nahezu alle Schaltstellen in der Islamischen Republik zu besetzen und die politische, kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung Irans zu kontrollieren. Die Reformpolitiker waren unfähig, ihre Anhänger gegen diese schleichende Monopolisierung der Macht zu mobilisieren. Die Formierung im Inneren erfolgte auch immer unter Hinweis auf die äußere Bedrohung.

Auch wenn diese militärische Bedrohung Irans durch die USA in Europa in ihrem ganzen Ausmaß nicht umfassend wahrgenommen sowie deren Gefahr nicht verstanden wurde und selbst wenn Bedrohung und Gefahr letztlich nicht real gewesen sein sollten: Im Iran zeigten sie Wirkung. Kein Zweifel besteht, dass die militärischen Vorbereitungen für einen Angriff getroffen wurden. Auch berichtete der Journalist Seymour Hersh in »The New Yorker« unter Hinweis auf hohe Sicherheitsbeamte wiederholt über Angriffsabsichten der US-Regierung gegen Iran: »In meinen Interviews wurde mir wiederholt erzählt, das nächste strategische Ziel sei Iran.«

Hersh will von einem Diplomaten in Wien sogar gehört haben: »Es geht um viel mehr als die Atom-Frage. Die ist nur ein Mobilisierungspunkt. Es besteht genug Zeit, um diese Frage zu lösen. Aber die Regierung glaubt, dass sie nicht geklärt werden kann, ohne dass sie die Herzen und die Gedanken Irans kontrolliere. Das Kernproblem besteht darin, wer wird in den nächsten 10 Jahren den Mittleren Osten und das Öl kontrollieren.«

Im Februar 2006 stellte US-Außenministerin Condoleezza Rice bei einer Anhörung des Senats das neue Budget ihrer Regierung vor, das helfen sollte, die ›Sehnsüchte des iranischen Volkes‹ zu unterstützen. Die Regierung wolle die Mittel nutzen, »um Unterstützungsnetzwerke für iranische Reformer, politische Dissidenten und Menschenrechtsaktivisten zu entwickeln«. Diese von Rice angeführte Unterstützung der iranischen Opposition bildete kein neues Element in der US-Politik gegenüber Iran.

Aber die Steigerung der Beträge für die Gegner der Regierung in Teheran zeigte den Ernst der Absicht, sich in die iranische Politik einzumischen. Waren es 2005 noch drei Millionen Euro, so standen 2006 bereits 70 Millionen zur Verfügung. Mit 40 Millionen Euro floss der Löwenanteil in Fernsehprogramme, die auf Farsi bis heute in die Islamische Republik ausgestrahlt werden.

Diese unterschiedlichen Formen der Intervention haben die Machtverschiebung zugunsten der Reformgegner begünstigt und erleichtert, dass Elemente einer Zivilgesellschaft, die sich in den ersten Jahren der Präsidentschaft Khatamis entwickelt hatten, wieder beseitigt wurden. So standen in der Phase militärischer Spannungen in Teheran Journalisten vor Gericht, weil sie für Verhandlungen mit den USA plädiert hatten. Die Anklage lautete Verrat nationaler Interessen, weil sie Gespräche mit einer Macht forderten, die die Islamische Republik bedrohte. Heute, nach dem Wahlsieg Obamas hat Staatspräsident Ahmadinejad seine Bereitschaft für eben solche Gespräche erklärt.

Doch die Voraussetzungen im Iran haben sich grundsätzlich geändert. Der Niederlage der Reformkräfte folgte die Schwächung der Konservativen. Denn seit dem Amtsantritt Ahmadinejads haben radikalislamistische Kräfte eine totale Kontrolle über den Regierungsapparat errungen. Meist handelt es sich um ehemalige Offiziere der Revolutionsgarde oder anderer Sicherheitsorganisationen. Sie haben auch Geistliche aus wichtigen Positionen verdrängt und den Einfluss der Geistlichkeit auf die Politik zurückgedrängt. Diese Entwicklung wird von Revolutionsführer Khamanei gefördert, um Kritiker und Konkurrenten in den Reihen des Klerus zu schwächen.

Im Gegensatz zu den ersten Jahren nach der Revolution treten bei offiziellen Anlässen immer weniger Geistliche und immer mehr Offiziere auf. Begriffe wie ›Diktatur der Mullahs‹ oder auch ›Islamischer Gottesstaat‹ sind immer weniger geeignet, die gesellschaftlichen Verhältnisse im Iran zu erklären. Vor allem wegen der hohen Präsenz der Sicherheitskräfte im öffentlichen Leben sprechen Gegner Ahmadinejads bereits von einer sich entwickelnden Militärdiktatur. Bei den Präsidentschaftswahlen im Juni wird sich zeigen, ob eine Neuorientierung der Politik und eine Änderung der gesellschaftlichen Machtverhältnisse überhaupt noch möglich ist.

Wegen der Zersplitterung des Reformlagers und eines möglichen Verzichts der Konservativen auf einen eigenen Kandidaten steigen die Chancen Ahmadinejads auf einen erneuten Wahlsieg, zumal er bis jetzt mit der Unterstützung durch Revolutionsführer Khamenei rechnen kann. Entscheidend wird sein, ob die Gegner des Präsidenten Wähler mobilisieren können, die vor vier Jahren nicht abgestimmt haben. Eine ausgesprochen hohen Wahlbeteiligung und ein eindeutiger Vorsprung eines Einheitskandidaten der Ahmadinejad-Gegner sind für viele Beobachter die Voraussetzung, um einen manipulierten Wahlsieg des derzeitigen Präsidenten zu verhindern.

Ahmadinejad dürfte in den ländlichen Regionen die Wahlen für sich entscheiden. Anders als zur Zeit der Islamischen Revolution leben aber nur noch ein Drittel der iranischen Bevölkerung auf dem Land. Vor 30 Jahren waren es dagegen doppelt soviel. Die Wahl wird in den Ballungszentren entschieden, in denen die Kritik an Ahmadinejad besonders groß ist. Eine Inflationsrate von etwa 30 Prozent, zunehmende Arbeitslosigkeit und Zerrüttung der Wirtschaft werden dem Präsidenten angelastet.

Es ist Ahmadinejad nicht gelungen, trotz der Rekordeinnahmen aus den Ölexporten in den Jahren 2007 und 2008, die wirtschaftlichen und sozialen Probleme der Ballungsgebiete zu lösen. Auch seine radikale Rhetorik gegen innen- und außenpolitische Gegner verfängt nicht mehr in dem Maße wie zur Zeit seiner Kandidatur im Juni 2005. In vergleichbaren Situationen vergangener Jahre brachten Wahlen trotz starker Einschränkungen bei der Kandidatenzulassung Trendänderungen. Es muss sich erweisen, ob dieser Mechanismus begrenzter Korrekturen iranischer Politik weiterhin funktioniert oder ob die politische und gesellschaftliche Verkrustung bereits zu weit fortgeschritten ist.

Zwar reichen die Öleinnahmen bei den derzeitigen Preisen von rund 50 Dollar nicht mehr, um die bisher übliche Subventionspolitik fortsetzen, die sozialen Probleme lösen und die Wirtschaft des Landes aufbauen zu können. Die Regierung verfügt jedoch über ausreichende Mittel, den Sicherheitsapparat weiter auszubauen und damit den Bestand der Islamischen Republik bis auf weiteres zu sichern.

Damit steigt auch die Versuchung, durch die Herstellung von Atomwaffen die Herrschaftsverhältnisse langfristig gegen äußere Bedrohung zu sichern. Bereits in den vergangenen Jahren dürfte ein Teil der Generalität die Angriffsdrohungen der USA genutzt haben, für die Option der Bombe einzutreten. Der Regierung in Washington wird unterstellt, den Konflikt um das iranische Atomprogramm nur als Vorwand zu nutzen, um die Kontrolle über die iranische Wirtschaft zu erringen, die die USA nach dem Sturz des Schahs verloren hatte. Aber es gibt bis heute keine Beweise über ein aktives militärisches Atomprogramm Irans, die veröffentlicht sind.

Den entsprechenden Berichten unterschiedlicher ausländischer Geheimdienste fehlen die Beweise. So heißt es im November 2004 im jährlichen CIA-Bericht über das weltweite Streben nach Massenvernichtungswaffen an den Kongress: »Iran setzt beharrlich und voller Energie den Plan eines eigenen Programms zur Herstellung von nuklearen, chemischen und biologischen Waffen fort.« Statt konkreter Beweise wird auf die Unterstützung verwiesen, die das iranische Atomprogramm in der Vergangenheit vom Netzwerk des pakistanischen Atomwaffenkonstrukteurs Abdul Qadir Khan erhalten hat. Nicht einmal zwei Jahre zuvor hatten US-Geheimdienste Irak fälschlicherweise ein militärisches Atomprogramm unterstellt, um den Krieg gegen Irak im Frühjahr 2003 begründen zu können.

Drei Jahre später, im November 2007 hieß es dann in der Studie des ›National Intelligence Council‹ der US-Geheimdienste mit dem Titel »Iran: Nukleare Absichten und Möglichkeiten«, zu einer möglichen Atombewaffnung der Islamischen Republik, iranische Militärstellen hätten bis Herbst 2003 an der Entwicklung von Atomwaffen gearbeitet, seither gebe es jedoch einen Baustopp. Als Begründung für die Beendigung des Programmes wird internationaler Druck angeführt. Auf einen Zusammenhang mit der von den USA behaupteten Atomrüstung Iraks wird nicht eingegangen. Dabei war die irakische Atomrüstung Auslöser für das iranische militärische Atomprogramm, das während des Krieges gegen den Irak in den achtziger Jahren begonnen wurde. Nach der islamischen Revolution war das gesamte in der Schahzeit aufgebaute Atomprogramm eingestellt worden.

So wurde die internationale Öffentlichkeit drei Jahre von den US-Geheimdiensten im Unklaren gelassen, wenn nicht sogar irregeführt. Damit entstand eine Atmosphäre, in der Iran sogar unterstellt werden konnte, innerhalb weniger Monate eine Atombombe zu besitzen. Heute kann man davon ausgehen, dass diese Aussagen falsch waren. Aber ihre möglicherweise beabsichtigte Wirkung haben sie erzielt. Iran galt fälschlicherweise bereits als militärische Atommacht. Dabei wird der Bau einer Bombe noch Jahre dauern, selbst wenn Iran sein militärisches Programm wieder aufgenommen hat. Die US-Geheimdienste schätzten in ihrem Bericht von November 2007 als frühesten Termin für eine iranische Atombombe das Jahr 2015, sollte das militärische Atomprogramm reaktiviert werden.

In dieser Möglichkeit liegt das eigentlich Gefährliche des iranischen Atomprogramms. Mit der Entwicklung der zivilen Nutzung der Atomtechnologie schafft die Islamische Republik Schritt für Schritt die Voraussetzungen für eine militärische Schwellenfähigkeit, also die Fähigkeit, zivile Potentiale für den schnellen Bau einer Bombe zu nutzen. Ahmadinejad spielt möglicherweise sogar bewusst auf diese Möglichkeit an, wenn er im April 2006 erklärte: »Wir sind schon ein Atomstaat und wir können die Atomtechnologie zu 100 Prozent anwenden. Wir werden sie für friedliche Zwecke nutzen, …« Mit der Übertreibung der nuklearen Fähigkeiten versucht Irans Präsident innen- und außenpolitische Stärke zu suggerieren, um Gegner einzuschüchtern. Denn Iran beherrschte die Atomtechnologie gar nicht zu 100 Prozent.

Doch ähnlich wie bei der Raketenrüstung ist es zwar keine Frage von Monaten, sehr wohl aber eine von Jahren, bis Iran mit einem entwickelten Raketen- und langfristig sogar einem Atombombenarsenal nur noch um den Preis katastrophaler Vergeltungsangriffe angreifbar sein wird. Dadurch ist eine ausgesprochen schwierige Situation entstanden. Mit sogenannten Militärschlägen wird die Islamische Republik wahrscheinlich nicht mehr an der Entwicklung strategischer Massenvernichtungswaffen zu hindern sein. Denn deren Produktion kann durch militärische Angriffe nur aufgeschoben, aber nicht verhindert werden. Ein Versuch, das politische System Irans mit militärischen Mitteln zu ändern, wird eine regionale Katastrophe auslösen und garantiert nicht das gewünschte Ergebnis erzielen.

Umso notwendiger wird es, mit der politischen Führung Irans Garantien für einen langfristigen Produktionsverzicht auszuhandeln. Je schneller dieses Ziel auf diplomatischem Weg erreicht werden kann, desto größer sind die Chancen, einen neuen Rüstungswettlauf im Mittleren Osten zu verhindern. Doch zu glauben, allein Iran trage die Verantwortung für ein solches mögliches regionales Wettrüsten, verkürzt die Problematik fahrlässig. Solange die Atommächte der Region, vor allem Pakistan und Israel, nicht für die Teilnahme an einem Abrüstungsprogramm gewonnen werden, bleibt es nur eine Frage der Zeit, bis andere Staaten im Nahen und Mittleren Osten waffentechnologisch gleichziehen wollen.

Um die Komplexität der Konfliktstruktur um das iranische Atomprogramm verstehen zu können, müssen auch die Energiereserven des Landes und der Nutzung berücksichtigt werden. Mit elf Prozent der bekannten Reserven verfügt die Islamische Republik neben Saudi Arabien und Irak über die weltweit größten Öl-Vorkommen. Hinzu kommt, dass die Islamische Republik nach Russland die zweitgrößten Gasreserven der Welt besitzt. Für die Energiekonzerne der USA entwickelt sich das von der eigenen Regierung erlassene Jahrzehnte alte Handelsverbot mit Iran zu einem Albtraum. Statt diesen Markt für den eigenen steigenden Verbrauch zu nutzen, wird Iran gezwungen, bevorzugt Indien und China zu beliefern. Für China mit seinem seit Jahren seit 2002 um jeweils zehn Prozent steigenden Ölbedarf ist Iran bereits heute der wichtigste Lieferant.

Nach Berechnungen der Energie Informationsverwaltung der US-Regierung benötigt China seit 2001 etwa 40 Prozent der Steigerung des Weltölbedarfs. Die zunehmenden chinesischen Importe bilden einen der bedeutendsten Faktoren des Weltölmarktes. Es geht hier nicht um die Konkurrenz zwischen den beiden weltweit größten Energieimporteuren China und den USA, sondern um die Bedeutung des chinesischen Importbedarfs, der von Iran systematisch genutzt werden kann, US-Sanktionen die Wirkung zu nehmen.

Wegen der Wirkung dieser Handelsrestriktionen und wegen der Zurückhaltung von Firmen europäischer Staaten, mit Iran langfristige Verträge zu schließen, orientiert sich die Islamische Republik nach Osten. Im Öl- und Gassektor bestehen bereits heute die bedeutendsten Lieferabkommen mit China und Indien. Allein Sinopec, Chinas größter Gasverarbeiter, wird in 25 Jahren 250 Millionen Tonnen Flüssiggas im Wert von 80 Milliarden Euro aus Iran beziehen. China ist dringend auf die Lieferungen aus dem Iran angewiesen, da mehrere Kraftwerke bereits seit Jahren aus Gasmangel nicht betrieben werden können. Seit Januar 2006 ist Iran bereits Chinas größter Öllieferant.

In dieser Ost-Orientierung sieht die Staatsführung in Teheran eine Möglichkeit, die eigene Wirtschaftsentwicklung langfristig zu sichern, selbst wenn die USA und die EU-Staaten noch schärfere Boykottmaßnahmen gegen die Islamische Republik beschließen sollten. Dabei kann Iran bei dieser Ostorientierung mit russischer Unterstützung rechnen.

Wladimir Putin unterstützt den Bau einer Gaspipeline von Iran nach Indien und hat finanzielle und technologische Hilfe angeboten. Gleich aus zwei Gründen hat Russland ein Interesse an dem Bau dieser Pipeline. Durch die Verwirklichung eines solchen Projekts würde eine durch Afghanistan geplante Pipeline hinfällig und Turkmenistan wäre weiter darauf angewiesen, einen Teil seines Gases an Russland zu liefern. Gleichzeitig würde Iran durch die Steigerung seiner Exporte nach Indien und China weniger stark als Konkurrent Russlands auf dem europäischen Energie-Markt auftreten.

Sollte Iran diese Ost-Orientierung seiner Öl- und Gasexporte durch Langzeitverträge weiter ausbauen und die Wirtschaftsbeziehungen mit Indien und China stabilisieren, wären die USA von diesem gewaltigen Energiemarkt auf Dauer weitgehend ausgeschlossen, selbst wenn sich die politischen Spannungen zu den USA abnehmen sollten.

Damit zeigt sich für mich, dass sich die Wirtschaftssanktionen gegen Iran in ihrer bisher praktizierten Form als untaugliches Mittel erweisen, der politischen Führung in Teheran politische Vorgaben aufzuzwingen. Wegen der gewaltigen Rohstoffvorräte kann sich die Regierung in Teheran Einnahmen verschaffen, mit denen zumindest der Machterhalt finanziert werden kann.

Statt Handelsbeziehungen zu nutzen, werden Brücken abgebrochen, die die Staaten des Westens eigentlich für eine langfristige Zusammenarbeit in allen Bereichen von Wirtschaft und Gesellschaft nutzen müssten, um die politischen Kräfte innerhalb Irans zu schwächen, die einen Kompromiss in der Atomfrage ablehnen. Die Zunahme des Einflusses von Vertretern der Streitkräfte auf den Staatsapparat sowie die iranische innen- und Außenpolitik sind Ausdruck der Probleme des islamischen Systems und der Bereitschaft von Revolutionsführer Khamenei, die Herrschaftsverhältnisse mit Gewalt zu verteidigen.

Gestützt auf die Erfahrungen des achtjährigen Krieges mit dem Irak (1980-1988) hat die islamische Führung in den vergangenen Jahren ganz unterschiedliche militärische Potentiale aufgebaut, die neben der regulären Armee auch Eliteeinheiten der Revolutionswächter sowie Hunderttausende von Mitgliedern paramilitärischer Verbänden umfassen. Auch wenn nicht alle Einheiten in einem Kriegsfall einsatzbereit sind, die hohe Zahl reicht bei der Größe des Landes aus, Invasionsverbände in einen Zermürbungskrieg zu verwickeln.

Die eigentliche Taktik Irans im Kriegsfall stützt sich auf den Einsatz Tausender Kurz- und Mittelstreckenraketen, die auch auf in den Nachbarländern stationierte US-Einheiten gerichtet sind. Die Revolutionswächter haben zudem Selbstmordkommandos ausgebildet, die ähnlich wie japanische Kamikaze-Kämpfer, gegnerische Marineverbände oder auch Tanker angreifen sollen, die den Weltmarkt mit Öl und Gas versorgen. Die iranische Führung hat bereits seit dem Irak-Krieg 2003 die Anweisung erteilt, dass die iranischen Streitkräfte alles unternehmen sollen, einen Krieg außerhalb des eigenen Landes zu führen.

Während Iran in den vergangenen Jahren mit einer Taktik vereinzelter Anschläge, den US-Streitkräften deren Schwäche demonstrieren wollte, würde die iranische Führung im Kriegsfall versuchen, alle Möglichkeiten zu nutzen, den in den Nachbarländern stationierten US-Truppen einen Zermürbungskrieg aufzuzwingen, bei dem nicht nur eigenen Kommando- und Sabotagetrupps eingesetzt sondern auch auch Aufstands- und Terrorgruppen der jeweiligen Länder systematisch unterstützt würden.

Die extrem hohen Kriegsfolge-Kosten für die Gegner, aber auch für die internationale Gemeinschaft, zum Beispiel durch schwindelerregende Ölpreise, sollen als Hebel genutzt werden, um die politische Atmosphäre zu schaffen, ein schnelles Kriegsende zu erzwingen. Den militärischen Planern und auch den Politikern in Teheran ist bewusst, dass die Islamische Republik nicht in der Lage ist, einen langfristigen Krieg politisch zu überleben.

Martialische Kriegsrhetorik iranischer Kommandeure und Politiker wird genutzt, um die Verteidigungsbereitschaft der Islamischen Republik zu demonstrieren. Eine Politik des Revolutionsexportes, wie sie in den ersten Jahren nach Gründung der Islamischen Republik Bestandteil der Außenpolitik des Landes bildete, wurde mit dem Ende des Irak-Krieges 1988 aufgegeben. So versucht die iranische Staatsführung heute, den Einfluss des Landes durch die Entwicklung wirtschaftlicher und militärischer Stärke auszuweiten, der kleinere Länder der Region nicht gewachsen sind.

Die Unterstützung der palästinensischen Hamas und der libanesischen Hezbollah sind Residuen der ehemaligen Politik des Revolutionsexportes. Selbst unter Politikern der Islamischen Republik ist diese Politik einer finanziellen und militärischen Hilfe für antiisraelische Organisationen zunehmend umstritten, da in ihr ein Hindernis für eine diplomatische Lösung der Probleme mit den Staaten des Westens gesehen wird.

US-Präsident Obama bietet mit seinem Gesprächsangebot der politischen Führung Irans die Möglichkeit, im militärischen Konzept nicht die einzige Variante einer Verteidigung des Systems zu sehen. Doch Revolutionsführer Khamenei, wichtige Kommandeure und unterschiedlichste Spitzenpolitiker sind nicht bereit, im Prozess der Normalisierung der Beziehungen zu den USA Vorbedingungen, wie den Verzicht auf die Uran-Anreicherung oder die Anerkennung Israels, zu akzeptieren.

Um eine mögliche Blockade bei der Annäherung zwischen den USA und Iran zu verhindern, bedarf es Anstrengungen Dritter. Sie sind notwendig, um eine Eskalation des Konfliktes zu verhindern, sollte beiden Seiten die Kraft zu den notwendigen Kompromissen fehlen. Da Russland und China von einer Verlängerung des Konfliktes profitieren, kommt den Staaten Europas eine besondere Bedeutung zu.

Bei einer derartigen Konstellation erwächst der Schweiz eine große Aufgabe, insbesondere weil die Botschafterin in Teheran auch die Interessen der USA im Iran vertritt. Diplomatisches Fingerspitzengefühl und taktisches Geschick können durchaus dazu beitragen, das gegenseitige Misstrauen zwischen den Regierungen in Teheran und Washington abbauen zu helfen. Es bleibt zu hoffen, dass diese Möglichkeit in den vergangenen Wochen extensiv genutzt wurde.

Aber auch wirtschafts- und finanzpolitisch kann die Schweiz wichtige Akzente setzen. Ich denke dabei nicht an die Eröffnung von Konten, auf die eine Schar von Korrupten, die sich in Teheran in den vergangenen Jahren in Teheran gebildet hat, Fluchtgelder einzahlen kann. Es gilt vielmehr, im Energiebereich, aber auch in anderen Bereichen von Wirtschaft und Handel, Beziehungen mit Iran zu beginnen oder auszubauen. Das Gasabkommen vom März vergangenen Jahres kann nur einen ersten kleinen Schritt bilden.

Wichtige Händler und Industrielle im Iran sind bereit, mit den Staaten des Westens Geschäftsbeziehungen zu intensivieren und zu pflegen.

Natürlich müssen bei Abkommen und Verträgen die Sanktionen des Weltsicherheitsrates eingehalten werden. Aber warum sollen Rohstoffexporte aus dem Iran vor allem Richtung Osten gehen? Bereits heute sind viele Iraner chinesischer Konsumgüter zunehmend überdrüssig, weil sie schlechte Erfahrungen mit deren Haltbarkeit gemacht haben.

Es wäre falsch, auf Erfolge im diplomatischen Annäherungsprozess zu warten und in ihnen eine Voraussetzung für den Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen zu sehen. Denn möglicherweise werden diese Bemühungen keinen schnellen Durchbruch bringen. Flankierende diplomatische und wirtschaftliche Maßnahmen erhöhen die Chancen für einen Erfolg, der dringend notwendig ist, um den Mittleren Osten zu beruhigen.

Vielen Dank

24. März 2009 in Zürich

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