msn. Ulrich Tilgner, Nahost-Korrespondent für verschiedene Zeitungen und Fernsehanstalten, hat an einer Veranstaltung des Schweizerischen Instituts für Auslandforschung in der Universität Zürich vor einer mit weit über 1200 Personen eindrücklichen Zahl von Zuhörern eine scharfsinnige Analyse zum Konflikt des Westens mit Iran vorgenommen. Die Videobotschaft des amerikanischen Präsidenten Obama, die dieser zum persischen Neujahrsfest vor Wochenfrist übermittelt hatte, sei zwar ein hoffnungsvolles Signal eines neuen Politstils, meinte Tilgner mit Verweis auf die Ära Bush. Allerdings werde dieses von Teheran nur dann positiv aufgenommen, wenn die USA bereit seien, mit Iran ohne Vorbedingungen zu sprechen. Washington verfolge weiterhin auch eine Politik der Härte; so seien von Obama fast gleichzeitig die unter Präsident Clinton bereits 1995 verhängten schärferen Wirtschaftssanktionen gegen Iran um ein Jahr verlängert worden. Das von den USA gewünschte konstruktive Verhalten etwa in Afghanistan, im Irak oder im palästinensisch-israelischen Konflikt sei für Teheran ein zu wirksames Pfand im Umgang mit dem Westen, als dass die Regierung darauf ohne signifikante Gegenleistung der USA verzichten würde.
Tilgner, der den Begriff der Mullah-Diktatur oder des Gottesstaates für Iran als überzogen bezeichnete, erläuterte die Militarisierung Irans als Ausdruck eines inneren Machtringens, bei dem die Streitkräfte durch den Revolutionsführer Khamenei als Machtinstrument auch gegen Kritiker in der Geistlichkeit eingesetzt würden. Dies komme einer sich entwickelnden Militärdiktatur gleich, die in alle Gesellschaftsbereiche einwirke und die konservativen Kräfte schwäche. Präsident Ahmadinejad sei zwar im Volk wenig beliebt, besitze aber in diesem Ringen gute Chancen auf einen Sieg bei den Wahlen in einigen Monaten.
Diese Aufgabe ist heute dringlicher denn je. Zwar ist das Selbstgefühl des aufgeklärt Seins im Abendland so entwickelt wie nirgendwo anders auf der Welt. Dennoch wäre es Selbstbetrug, zu meinen, dies reiche aus, um die Probleme der Welt erkennen und sogar lösen zu können. Wir merken gar nicht, dass sich die Welt wesentlich schneller entwickelt, als die Sicht, die wir von ihr haben.
Deutlich kritisch bewertete Tilgner Befürchtungen, Iran könnte sich nuklear bewaffnen. Die westlichen Geheimdienste hätten sich schon bei den Massenvernichtungswaffen im Irak getäuscht –- oder hätten bewusst falsche Fährten gelegt. Daher sei grosse Skepsis angebracht, sagte Tilgner. Iran strebe mit seinem zivilen Programm wohl bewusst die Schwellenfähigkeit an, also die Fähigkeit, eine Militarisierung seines Nuklearprogramms vorzunehmen. Von einer Atombombe sei das Land aber, wenn überhaupt, noch Jahre entfernt. Es diene Teheran aber innen- und aussenpolitisch, die Drohung aufrechtzuerhalten.
Bemerkenswert waren Tilgners Schlussfolgerungen. Immer mehr exportiere Iran seine Energieressourcen als Folge der Sanktionspolitik des Westens nach China und Indien – und werde dabei von Russland kräftig unterstützt, das damit die eigene Marktmacht in Europa stärken könne, sagte Tilgner. Politisch werde mit Sanktionen also nichts erreicht; der Einsatz militärischer Mittel gegen Iran würde in Teheran zwar ernst genommen, eine Reaktion sei aber gut vorbereitet. So würden mit einer Mischung aus klassischer Verteidigungsstrategie, Guerillakrieg und dem sofortigen Einsatz von Terrormitteln –- etwa durch Selbstmordattentäter –- die Kriegskosten für den Westen ganz bewusst in die Höhe getrieben. Dabei sei immer wieder in Erinnerung zu rufen, meinte Tilgner, dass allein durch die Strasse von Hormuz 60 Prozent des weltweit exportierten Erdöls transportiert würden.
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