Mit den Anschlägen von Sharm el Sheik werden die Hoffnungen zerstört, den Terrorismus weltweit eindämmen zu können. Die Vorstellung, das Morden beschränke sich auf den Irak, erweist sich mehr und mehr als trügerisch. Im Gegenteil, der tägliche Terror im Irak treibt Gesinnungsgenossen in anderen Teilen der Welt zu ihren Aktionen. Selbst in ihrem Ablauf ähneln die Anschläge der vergangenen Nacht im ägyptischen Badeort dem fürchterlichen Terror in Bagdad. Dabei ist es letztlich unerheblich, ob die Täter derselben Organisation angehören. Sie begreifen sich als Teile eines weltweiten Netzwerkes. Nicht zufällig kommunizieren die Terroristen ihre Ideen im Internet und können dort auch Anleitungen zum Bau von Sprengsätzen herunterladen. Da wird es unerheblich, ob Selbstmordattentäter ihre Anweisungen aus Pakistan, Saudi-Arabien oder von einem geheimen Al Kaida Kader in einem von moslemischen Einwanderern bewohnten Stadtteil einer britischen Industriestadt erhalten.
So unterschiedlich der Werdegang jedes einzelnen Terroristen auch ist, sie eint der Hass gegen die abendländische Kultur. Mit den Anschlägen soll diese Kultur gelähmt und langfristig zerstört werden. Die Selbstmörder sehen sich im Kampf gegen die Paläste, also die Zentren des Wohlstands dieser Welt, in ihren Augen Zentren der Verdorbenheit. Jeder, der an dieser Art von Kultur Teil hat, soll sich bedroht fühlen. Der Sozialhilfeempfänger in der U-Bahn von London genauso wie der Taxifahrer im Eingangsbereich eines Ferienhotels am Roten Meer oder der Gärtner dieses Hotels, der auf dem alten Marktplatz nach getaner Arbeit seine Wasserpfeife raucht. Zu welch wahnwitzigen Verbrechen diese Art von Terroristen bereit ist, zeigt sich, wenn Täter ihre Sprengstoffgürtel in oder vor den Moscheen irakischer Provinzstädte zünden.
Der Hass hat sich verselbständigt, schon lange geht es nicht mehr darum, einen vermeintlichen Gegner zu treffen. Je größer Angst und Schrecken werden, desto stärker fühlen sich Attentäter bestätigt. Und je mehr über ihre Taten berichtet und geklagt wird, desto bereiter sind junge Menschen zu Nachfolgetaten.
Es entsteht ein Kreislauf der Gewalt, der nur schwer zu stoppen ist. Militärische und polizeiliche Mittel allein müssen versagen, dass lehrt die Entwicklung im Irak. Dort haben alle Versuche der US-Armee, die Terroristen militärisch zu stoppen, bisher nicht wirklich gefruchtet. Wie von Geisterhand gesteuert, schlagen sie immer erbarmungsloser und schrecklicher zu. Im Irak ist der Terror sogar dabei, sich als militärische Kampfform zu etablieren. Möglicherweise ist dort der Zeitpunkt bereits verpasst, die Entwicklung zurückdrehen zu können. Und aus dieser schlimmen Entwicklung gilt es zu lernen.
Auf den Ausbau von Geheimdiensten und Polizeiapparaten oder gar den Einsatz von Soldaten im Inneren als Allheil-Mittel im Kampf gegen den Terror zu setzen, wird sich als kurzsichtig erweisen. Der Dialog der Kulturen ist gefragt, die Unterstützung demokratischer Bemühungen in der islamischen Welt ist gefordert, und die Kritik an Diktaturen ist notwendig, um eine Trendwende im Kampf gegen den Terror zu schaffen. Wer glaubt, die Verbrüderung mit den Kräften der islamischen Welt, die bereit sind, sich am Kampf gegen Terror zu beteiligen, reiche aus, die Wahnsinnigen zu stoppen, unterschätzt die Gefahr. Der Kampf mit geheimdienstlichen und polizeilichen Mitteln oder wie im Falle des Iraks mit militärischen Mitteln gegen Terroristen muss mit dem Versuch verbunden werden, potentielle Tätergruppen anzuziehen und zu neutralisieren. Und das beginnt damit, nicht hinter jedem praktizierenden Moslem einen potentiellen Terroristen zu wittern. Denn das Ziel der Wortführer des Terrors besteht darin, eine Frontlinie zwischen den Religionen aufzubauen.
Natürlich ist dies keine neue Erkenntnis. Doch gerade in den Stunden der Konfrontation geht es darum, die Grundsätze einer solchen Politik zu praktizieren. In Ägypten wird im September gewählt. Eine Antwort auf den Terror der vergangenen Nacht bestünde auch darin, diese Wahlen in einer für die ägyptische Geschichte bespiellos freien Atmosphäre abzuhalten. Denn jede Beschneidung der Freiheit könnte sich als später Triumph für die Terroristen von Sharm el Sheik erweisen.
Kommentar von Ulrich Tilgner
DEUTSCHLANDFUNK
23. Juli 2005